Der folgende Beitrag „Vor Kindern streiten“ brannte mir schon sehr lange unter den Nägeln und ich freue mich ihn mit euch zu teilen.
Ist Streit vermeidbar?
Es ist an sich nicht immer zu vermeiden, dass unsere Kinder mitbekommen, wenn wir uns streiten. Egal, wie kontrolliert wir uns auch verhalten, manchmal bahnen sich unsere Gefühle dennoch ihren Weg, ob wir es wollen oder nicht. Und das ist auch gut so.
Denn mit sich selbst zu sehr kontrollierenden Eltern haben Kinder ihre Schwierigkeiten. Unsere Kinder nehmen auch unsere unterdrückten und häufig uns selbst nicht einmal bewussten Gefühle wahr. Dies verunsichert sie, weil sie das, was sie hören und dass, was sie spüren, nicht zusammen bekommen.
Mit der Zeit beginnen sie dann immer mehr an sich und ihrer Wahrnehmung zu zweifeln.
Es ist nie schön für Kinder, wenn ihre Eltern streiten, denn …
- erstens fühlen sie sich immer dafür verantwortlich, wenn sie auch keine Ahnung haben, warum. Sie können nicht anders, weil sie sich noch immer bewusst sind, der Mittelpunkt ihres „Universums“ zu sein.
- zweitens macht es ihnen sehr große Angst, dass ihre Eltern sich trennen und uns sie „auf der Strecke bleiben“. Ihre Eltern existieren in ihrer Vorstellung nur als Paar und sind in ihren ersten Lebensjahren nicht allein vorstellbar für sie.
- drittens es nagt an ihrem Verbunden- und Geborgenheitsgefühl. So als würde ihre uneinnehmbare Burg Risse bekommen. Was wiederum Angst macht.
Das schlimmste an einem Streit der Eltern ist aber nicht das Streiten, das Schlimmste für unsere Kinder ist, dass sie in der Regel nicht mitbekommen, wie sich ihre Eltern wieder vertragen. Denn dadurch lernen sie, dass ihre Ängste unbegründet sind.
Aus meiner Erfahrung als Familien- und Paartherapeut kann ich euch mitteilen, dass über 90% aller Streitigkeiten nicht aus dem Grund geführt werden, die man denkt. Da die Ursache meistens viele Stunden vorher wahrgenommen wurde, nicht selten, ohne das es einem bewusst ist, weitergeschürt werden und erst später, häufig durch eine vergleichsweise Nichtigkeit, zu einem Streit führen, den der andere in diesem Moment nicht nachvollziehen kann. Und nicht zuletzt, beruhen diese Streitigkeiten fast immer auf Missverständnisse.
Es gibt verschiedene Fragen, die es einem leichter machen können, einzulenken:
- Is this Drama really necessary?
- Willst Du Recht haben oder glücklich sein?
- Wie wichtig ist dir dies in einem oder in 5 oder 10 Jahren?
Vor Kindern streiten
Wenn wir es einmal nicht schaffen einen Streit vor unseren Kindern zu vermeiden, wäre es super, wenn wir es hinbekommen würden,
- einen Break zu machen,
- gemeinsam zu unserem Kind (unserer Kinder) zu gehen,
- um ihnen mitzuteilen, dass Mama und Papa gerade uneinig sind und
- dass sie gerade nicht weiterkommen, dass es aber nicht schlimm ist,
- dass sie sich lieben, wenn es auch nicht so aussieht
- den anderen respektvoll zu behandeln und
- dass es nichts mit ihnen zu tun hat und
- dass sie eine Lösung finden werden und sich dann auch wieder umarmen.
Man kann damit gar nicht zu früh beginnen. Selbst während der Schwangerschaft ist es hilfreich, wenn die werdende Mutter regelmäßig mit ihrem heranwachsenden Kind spricht und das vor allem, wenn sie, wie z.B. durch einen Streit aufgebracht oder traurig ist. Beruhigend gesprochene Worte helfen dem Embryo, die vorher aufgebaute Spannung wieder abzubauen.
Was wir unbedingt vermeiden sollten
Wenn Eltern sich streiten, unterliegen die sich unterlegen Fühlenden nicht selten der Versuchung sich mit dem Kind zu verbünden. Und selbst wenn die Annäherung vom Kind kommt, tut es diesem nicht gut. Es liebt beide Elternteile und wenn es sich dann einem zuwendet, hat es innerlich das Gefühl den anderen zu verraten.
Ich halte es nicht für wünschenswert unsere Kinder in dem Gefühl einer scheinbar „streitlosen Welt“ aufwachsen zu lassen. Hieraus können sich in ihrem späteren Leben große Probleme mit Wut und Streit, bis hin zu allen nicht „liebenswerten“ Gefühlen entwickeln.
Und immer, wenn dann in ihnen eines dieser Gefühle hochkommt, verurteilen sie es bzw. sich und unterdrücken es. Zumindest solange bis es sich einen Weg an die „Oberfläche“ erkämpft hat. Und wollen wir das?
Unser Anspruch „perfekt“ zu sein
So sehr es liebens- und wünschenswert wäre, perfekt zu sein, ist es nicht, dass was Menschen glücklich macht. In meiner Praxis frage ich meine Klienten in Situationen, in denen sie an sich zweifeln, weil sie es anscheinend nicht geschafft haben, perfekt zu sein:
„Wollt ihr, dass eure Kinder auch an sich verzweifeln und sich verurteilen, weil sie nicht perfekt sind oder wollt ihr, dass sie glücklich sind? Ihr könnt euch vermutlich vorstellen, was sie rundweg alle antworten?“ Kinder lernen, wenn nicht ausschließlich, dann zumindest am meisten durch Nachahmung und deshalb ist es so wichtig, es ihnen vorzuleben.
Kindern die Chance geben, streiten zu lernen
Warum wollen wir, dass unsere Kinder mit anderen Kindern spielen?
Weil wir uns wünschen, dass sie dabei soziales Verhalten lernen. Wozu auch gehört, sich zu streiten und wenn möglich Kompromisse, wenn nicht gar gemeinsame Lösungen zu finden.
Also lasst uns damit beginnen, unser Bestes zu tun und es ihnen vorzuleben. Als Menschen haben wir immer den Anspruch unser Bestes zu geben, wie daneben wir manchmal auch liegen. Zudem steht dieser Wunsch entgegen dem Anspruch nach Perfektion unserem Glück zumindest nicht im Weg.
Übrigens, der sicherste Weg nicht vor den Kindern „streiten zu müssen“, ist es auf unsere Bedürfnisse nach Ruhe, Austausch und Bestätigung zu achten.
Euer Deva (Babytalk – Redaktion)
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Mehr dazu, eure Kinder bindungsorientiert und liebevoll in die Selbstständigkeit zu begleiten, findet ihr in unserem Buch „Glückliche Kinder brauchen entspannte Eltern“ welches im Humboldt-Verlag erschienen ist.
Beitragsfoto: jesterpop / shutterstock
Foto 2: Iakov Filimonov / shutterstock
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