Die Nabelschnur auspulsieren lassen – ja oder nein

Wenn das langersehnte Warten endlich ein Ende hat und das Baby auf dem Bauch der Mutter liegt, ist es noch bei vielen Hebammen ein routinemäßiges Vorgehen, den Blutfluss in der Nabelschnur mit zwei Nabelklemmen zu unterbrechen und dem Vater die Schere in die Hand zu drücken. Schon ist die Nabelschnur durchtrennt. Da wird schon mal leicht vergessen die Nabelschnur auspulsieren zu lassen.

Versorgung des Babys während der Schwangerschaft

Die Ernährung des Babys wird von der Plazenta bzw. Mutterkuchen gesteuert. Man unterscheidet zwischen ihrer mütterlichen und ihrer kindlichen Seite. An der kindlichen Seite hängt die zum Ende der Schwangerschaft hin ca. 50 cm lange Nabelschnur, die den Fötus mit der Plazenta verbindet.

Die Nabelschnur hat ein spiralförmiges Aussehen, da die beiden Nabelschnurarterien und die Nabelschnurvene spiralförmigen zu einer Schnur verdreht sind. Zudem werden beiden Aterien und die Vene von der sogenannten „Amnionscheide“ schlauchartig umschlossen. Dadurch ist sichergestellt, dass das Baby, immer alle drei Blutgefäße in der Hand hält, wenn es nach der Nabelschnur greift.

Die Plazenta versorgt während der Schwangerschaft den heranwachsenden Fötus über die Nabelschnur mit Sauerstoff und vielen anderen Nährstoffen, ohne dass es schlucken oder atmen muss. Dies sind vor allem Stoffe, die der Fötus zum Aufbau seines Körpers und dessen Energieversorgung benötigt. Wobei die Blutversorgung des Babys nicht direkt mit dem Blutkreislauf der Mutter verbunden ist.

Die Plazentaschranke

Eine hauchdünne Membran, die sogenannte Plazentaschranke, übernimmt dabei die Aufgabe der „Filterung“ und hält viele Schadstoffe, Krankheitserreger und Bakterie vom Fötus fern. Dieser Austauschmechanismus kann allerdings die Weitergabe unerwünschter Stoffe, wie Medikamente, Alkohol und Nikotin nicht verhindern.

Alkohol und Nikotin sollten während der Schwangerschaft und Stillzeit gemieden und Medikamente unbedingt mit einem Arzt abgeklärt werden.

Neben der Versorgung übernehmen Nabelschnur und Plazenta noch die Entsorgung von Abfall- und Schlackenstoffen, da der Embryo selbst noch keine Darm- und Lungenfunktion sowie keine ausreichend funktionierende Nierenfunktion hat. Um diesen Aufgaben nachkommen zu können, befindet sich immer eine bestimmte Menge Blut des Babys in der Plazenta.

Zudem produziert die Plazenta Hormone Östrogen und Progesteron, die für die Aufrechterhaltung der Schwangerschaft zuständig sind. Und sie versorgt das das Baby mit Immunstoffen, dem sogenannten Nestschutz, zur Abwehr von Infektionen. Zum Ende der Schwangerschaft leitet sie über die Ausschüttung von Oxytocin den Beginn Wehentätigkeit ein. Somit gibt sie den Startschuss für die Geburt.

Die Versorgung des Babys endet mit der Durchtrennung der Nabelschnur.

Die Nabelschnur nach der Geburt

Einige Minuten nach der Geburt hat sich der kleine Organismus von alleine umgestellt und die Plazenta bekommt die Information, das restliche Blut des Kindes über die Nabelschnur an das Baby abzugeben. Diesen Transfer von Blut, der sich über mehrere Minuten erstrecken kann, bezeichnet man als plazentale Transfusion.

Diese Transfusion versorgt das Baby mit roten Blutkörperchen, Stamm- und Immunzellen. Durch das Auspulsieren der Nabelschnur hat die Plazenta ausreichend Zeit, um das Baby mit seiner nicht unbeachtlichen restlichen Blutmenge zu versorgen.

Was bedeutet es die Nabelschnur auspulsieren zu lassen?

Neue Erkenntnisse weisen darauf hin, dass das restliche Nabelschnurblut wichtig für die Entwicklung des Babys ist.

Solange die Nabelschnur pulsiert, findet ein Blutaustausch zwischen Mutter und Kind statt. Das Pulsieren der Nabelschnur hört einige Minuten oder auch bis zu etwa einer halben Stunde nach der Geburt auf. Erst danach wird sie abgeklemmt und durchtrennt.

Die Vorteile des Auspulsierens der Nabelschnur

Für Babys

  • Die vollständige Menge an Blut für das Leben außerhalb der Gebärmutter
  • Geringeres Risiko von Hirnblutungen und Infektionen
  • Eine größere Menge an roten Blutkörperchen, Stammzellen und Immunzellen
  • Vorbeugung von Eisenmangel bei terminnahgeborenen Babys

Für Mütter

  • Die besondere Verbindung zwischen Mutter und Kind lässt dem Baby den Stress der Geburt besser kompensieren und erleichtert ihn den Übergang zum „eigenständigen“ Menschen.
  • Verringert Komplikationen mit der Nachgeburt
Nabelschnur auspulsieren lassen

Der Übergang vom Fötus zum Neugeborenen

Durch den rapiden Anstieg der Blutmenge, mit der das Babys bei der plazentalen Transfusion versorgt wird, öffnet sich die Lunge, verdrängt das Fruchtwasser und verhindert das sie kollabiert.

Das Auspulsieren der Nabelschnur ermöglicht dem Baby eine optimale Blutmenge für den sichersten Übergang vom Fötus zum Neugeborenen.

Welche Voraussetzungen müssen für das Auspulsieren erfüllt sein?

Komplikationen während der Schwangerschaft und einer möglichen Erkrankung des Neugeborenen sind die hauptsächlichen Faktoren, warum man das Nabelschnurblut häufig nicht auspulsieren lässt. Wir empfehlen dies vor der Geburt mit der betreuenden Hebamme zu klären, ob es Gründe gibt, die gegen ein Auspulsieren lassen sprechen.

Wertvolle Stammzellen in der Nabelschnur

Im Normalfall, vor allem in einer Geburtsklinik wird sowohl die Plazenta als auch die Nabelschnur nach der Geburt entsorgt. Im Blut einer abgetrennten Nabelschnur befinden sich sogenannte Stammzellen in hoher Konzentration. Diese eignen sich in vielen Fällen zur Behandlung von Krankheiten, wie zum Beispiel Leukämie (Blutkrebs). Aus diesem Grund lassen manche Eltern dieses Blut aus der Nabelschnur gewinnen und aufbewahren.

Auf jeden Fall ist es empfehlenswert, sich als werdende Eltern über die Möglichkeiten von Nabelschnur-Stammzellen zu informieren. Auch Kliniken bieten eine sogenannte Nabelspurblutspende nach schriftlicher Einwilligung an, da diese Stammzellen bei der Forschung nach neuen Therapiemöglichkeiten dringend benötigt werden.

Da man auf Forschungsergebnisse wohl noch einige Jahre warten muss, die meisten Studien befinden sich noch in einer experimentellen Phase, raten Ärzte den werdenden Eltern oft noch mit der Einlagerung zu abwarten.

Die Entnahme des Nabelschnurblutes ist für Mutter und Kind absolut schmerzlos und dauert nur wenige Minuten. Die Entnahme wird von einer Hebamme oder einem Arzt vorgenommen. Dabei wird eine Kanüle in die Nabelschnurvene eingeführt und in einem speziellen Behälter aufgefangen. Dieser verhindert die Gerinnung des Blutes bis zum sicheren Transport zur Blutbank.

Die Lotusgeburt

Die Bezeichnung Lotus-Geburt bezieht sich nicht auf den Geburtsvorgang, sondern darauf, dass die Nabelschnur nach der Geburt nicht abgeklemmt und die Plazenta stattdessen am Neugeborenen aufbewahrt wird, um eine „natürliche“ Abnabelung abzuwarten, was bis zu 10 Tage dauern kann.

Es gibt aber auch unterschiedliche Vorgehensweisen. So trennen mache Eltern die Nabelschnur vor dem Abfallen nach einem für sie passenden Zeitpunkt oder direkt mit der Nachgeburt der Plazenta. Für die Aufbewahrung der Plazenta am Baby gibt es eigens angefertigte Plazenta-Taschen zu kaufen.

Der Begriff Lotus-Geburt geht auf die Amerikanerin Claire Lotus Bay zurück, die die Notwendigkeit des Abnabelns nach der Geburt in Frage stellte. Claire Lotus Bay berief sich in ihrer Theorie auf Beobachtungen, dass Schimpansen die Plazenta aufbewahren würden, was aber durch Beobachtungen von Tierforschern widerlegt wurde. Schimpansenweibchen beißen nach einer Geburt die Nabelschnur durch und essen die Plazenta ihres neugeborenen Affenjunges auf.

Vorteile die einer Lotusgeburt zugesprochen werden

Anhänger einer Lotusgeburt vermuten eine spirituelle Beziehung zwischen dem Neugeborenen und seiner Plazenta, was diesem Glück und Geborgenheit bringen soll. Sie sehen die Plazenta als erstes Organ des Babys und glauben, dass das Durchschneiden der Nabelschnur ein Trauma beim Baby hinterlassen könnte. Eine Lotus-Geburt soll dem gegenüber, das Bonding zwischen Mutter und Kind stärken und ihm den Start ins Leben erleichtern.

Viele Eltern vergraben die Plazenta und pflanzen Blumen oder einen Baum darauf. Einige essen sie auch auf, was eine lange Tradition haben soll. Dieses Vorgehen wird allerdings sehr kontrovers diskutiert.

Bei einer Lotusgeburt besteht die Gefahr, dass sich das Neugeborene infiziert. Dies kann geschehen, wenn die Plazenta zu verderben beginnt, bevor die Nabelschnur abgefallen ist. Aus diesem Grund ist zu besonderer Vorsicht und Hygiene zu achten. Zudem sollte beim Halten und beim Wickeln des Neugeborenen darauf geachtet werden, dass die Nabelschnur nicht versehentlich abgetrennt und das Baby dadurch verletzt wird.

Eine Geburt in einem Geburtshaus oder zu Hause ist für Schwangere, die sich eine Lotusgeburt wünschen sehr wahrscheinlich die passendere Umgebung. Nicht zuletzt, weil eine Lotusgeburt in den meisten Kliniken aufgrund der Infektionsgefahr nicht zulässig ist. Die Unterstützung durch die betreuende Hebamme ist auf jeden Fall hilfreich.

Lotusgeburt – eine Alternative für Kaiserschnitte und Frühgeburten?

Vor allem für Kinder, die per Kaiserschnitt oder als Frühchen auf die Welt kommen, soll eine Lotusgeburt und die längere Verbindung zur Plazenta einen sanften Start ins „Leben“ ermöglichen. So soll das Neugeborene die Möglichkeit erhalten, sich langsam an ein Leben außerhalb der Gebärmutter anzupassen.

Die Bedeutung und Vorteile einer Lotusgeburt sind vor allem unter Medizinern sehr umstritten.

Fazit

Es gibt es einige wichtige Vorteile einer verzögerten Abnabelung, wenn es Mutter und Kind nach der Geburt gut geht bzw. keine Komplikationen aufgetreten sind. Dazu zählen beispielweise ein höheres Geburtsgewicht, eine frühere Hämoglobin Konzentration und erhöhte Eisenreserven nach der Geburt. Diese Vorteile müssen mit einem gering erhöhten Risiko einer Neugeborenen-Gelbsucht abgewogen werde. Diese müsste ggf. mit einer Phototherapie behandelt werden.

Mittlerweile hat sich eine immer größer werdende Anzahl von Frauenärzten / Gynäkologen der Überzeugung angeschlossen, dass die Vorteile des Auspulsierens, die des Risikos einer Neugeborenen-Gelbsucht überwiegen. Somit ist diese Vorgehensweise nun auch in immer mehr Geburtskliniken und Geburtshäusern sowie bei Hausgeburten und zu beobachten.

Unserer persönlichen Meinung nach bietet das Auspulsieren lassen der Nabelschnur neben den körperlichen Vorteilen für das Neugeborene, eine einmalige und wundervolle Möglichkeit den Schritt des Fetus zum Baby bewusst zu genießen und ihn dabei mit liebevoller Aufmerksamkeit Willkommen zu heißen. Dieser Moment hat einen großen Einfluss auf das Selbstverständnis des Babys und dessen Blick auf die Welt. Für die „junge“ Mutter bietet dieser, wenn auch relativ kurzer Augenblick, die Chance den ersten Schritt von der Schwangeren in die Mutterrolle bewusst zu gehen.

Euer Babytalk-Team

Beitragsfoto: Pixelistanbul / Getty Images Pro
Foto2: eans / Getty Images

Quellen: aertzeblatt.de, wissensschau.de, Nadine Wenger „Natürliche Wege zum Babyglück

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