Die Montessori-Pädagogik verbinden viele mit Privatschulen und exklusiven Kindergärten. Doch das Konzept der italienischen Pädagogin Maria Montessori steht allen offen. Die Beschäftigung mit ihren Ansätzen lohnt sich auch zuhause.
Sie selbst sagt, „Lehrer sind alle Bezugspersonen, die das Kind in seiner Entwicklung begleiten“. Also keineswegs nur Erzieher in Schule und Kindergarten, sondern ganz klar auch die Eltern, ggf. Großeltern und Geschwister.
Maria Montessori geht es um die Freiheit, um die selbständige Entwicklung des Kindes. Mit Freiheit ist aber auf keinen Fall „sich selbst überlassen“ gemeint. Es geht um die freie Wahl der „Beschäftigung“. „Die Freiheit unserer Kinder hat als Grenze die Gemeinschaft, denn Freiheit bedeutet nicht, dass man tut, was man will, sondern Meister seiner selbst zu sein“ und die Grenzen anderer zu respektieren, Maria Montessori: Grundlagen meiner Pädagogik, 1968)
Die Kontrolle über den Körper
Ihre Theorie beruht darauf, dass gerade kleine Kinder noch Probleme damit haben, Aufforderungen nachzukommen – aus dem einfachen Grunde, dass ihr Körper sich dem Geist nicht ohne weiteres unterzuordnen vermag, ja sie selbst ihre Körper nicht wirklich beherrschen.
Das leuchtet jedem ein, der kleinen Kindern zuguckt: wie schwer es ihnen fällt, die Bewegungen, ihre Körperteile zu koordinieren. Überhaupt ist die Beobachtung unserer Kinder ein wesentliches Anliegen: Nur so können die Erwachsenen erkennen, was ihr Kind braucht. Die „Lehrer“ sollen sich absolut zurücknehmen und die Kinder machen lassen.
Wenn die Umgebung von den „Großen“ vorbereitet ist, können die Kinder ohne Reizüberflutung aus dem vorhandenen Spielzeug auswählen. Jetzt kommt es darauf an, dass sie sich vollkommen in ihr selbst gewählte „Spiel“ vertiefen können. Bei Montessori heißt das die „Polarisation der Aufmerksamkeit“.
Einfach übersetzen können wir dies mit „Work-Flow“. Wer kennt das nicht, wie glücklich und zufrieden man sich fühlt durch die Vertiefung und Erfüllung in eine Aufgabe. Montessori ist der Meinung, dass nur durch die freie Wahl und das selbständige Spielen echtes Interesse am Gegenstand von Seiten des Kindes entsteht.
Sie betont die Wichtigkeit von Ordnung und Stille, die Konzentration und somit Lernen erst möglich machen. Diese Atmosphäre entsteht häufig erst nach etwas „Langeweile“, die meistens für uns Eltern schwerer auszuhalten ist.
Montessori zuhause
Mit einfachen Mitteln kann der Alltag mit Kind nach den Prinzipien Montessoris gestaltet werden. Dazu muss die Umgebung von den Erwachsenen vorbereitet werden. Maria Montessori sagt: „Nicht das Kind soll sich der Umgebung anpassen, sondern wir sollen die Umgebung dem Kind anpassen.“
Die Aufgabe der Eltern liegt laut Montessori darin, das richtige Material zur richtigen Zeit bereitzustellen.
Was bedeutet das nun konkret für das Kinderzimmer? Es ist keinesfalls notwendig, dass das Kind nun ausschließlich mit Montessorimaterialien spielt. Natürlich lohnt es, sich einmal in dieser Richtung umzusehen. Viele Materialien können ganz einfach selbst hergestellt werden, z.B. Übungsmaterialien zur Vorbereitung auf das Dezimalsystem.
Der „Rosa Turm“ und andere Montessori Spielzeuge
Der Rosa Turm etwa besteht aus zehn Klötzen. So gelingt es dem Kind das Zehnersystem erfahrbar zu machen, lange bevor es überhaupt mit Zahlen zu tun hat, geschweige denn zu rechnen beginnt.
Egal ob Puzzle, Puppengeschirr, Bauklötze und Kaufladensachen: Elementar wichtig ist es, das Spielzeug in offenen Regalen zu präsentieren. Am besten geeignet sind Tabletts und Körbe, in denen die Spiele bereit liegen. So überblickt das Kind das Angebot und kann sich selbst, seinen Fähigkeiten und Neigungen entsprechend, etwas aussuchen.
Hier geht es genau um die eingangs beschriebene freie Wahl der Beschäftigung. Diese Freiheit fördert die Entscheidungsfähigkeit. Und wenn sich jetzt kein Erwachsener in das freie Spiel einmischt, tut das auch dem Selbstbewusstsein gut. Montessorimaterial hat zudem stets eine Fehlerkontrolle eingebaut, mit der das Kind selbst überprüfen kann, ob es alles richtig gemacht hat. Auch dies entspricht Maria Montessoris Grundprinzip „Hilf mir, es selbst zu tun.“
Puzzles etwa sollten nicht fertig daliegen: Sie sind viel spannender, wenn sie in ihre Einzelteile zerlegt auf das Kind warten. Überhaupt ist es eine prima Idee, sich für die Umgestaltung des Kinderzimmers einmal auf Augenhöhe des Kindes zu begeben, sich also auf den Boden zu setzen.
Wer seine Umgebung einmal aus der Perspektive des Kindes wahrnimmt, wird über einiges erstaunt sein. Wie hoch die Bilder hängen! Wie unerreichbar der Esstisch, viele Schränke und Regale plötzlich sind. Selbst das Waschbecken und die Küchenzeile sind viel zu weit weg, als dass das Kleinkind da herankommen könnte.
Ideen für den Wohnraum
Deshalb gibt es auch viele tolle Ideen, um die Wohnung insgesamt an den Erfahrungsraum der Kinder anpassen zu können.
Beginnen wir mit dem Kleiderschrank: Wer darüber stöhnt, dass sich sein Dreijähriger doch endlich ein bisschen fürs Anziehen interessieren könnte, wird sich wundern! Wenn Kleinkinder frei an ihre Klamotten herankommen können, ziehen sie sich viel schneller und lieber selbst an.
Freiheit bedeutet Selbständigkeit! Maria Montessori traut dem Kind viel zu – wir müssen dem Kind die Möglichkeit geben, es selbst zu tun. Natürlich muss man damit rechnen, dass die Kombinationen nicht immer dem entsprechen, was wir den Kleinen herausgelegt hätten.
Da muss man dann auch die Größe haben, das Töchterlein einmal mit Rüschenröckchen über die Jeans getragen in den Kindergarten gehen zu lassen. Unsere Buben trugen seinerzeit gerne mehrere Unterhosen übereinander, weil sie die neue einfach drüber zogen.
Aber alles selbst gemacht! Also einfach die Kinderkleider in die unteren Fächer des Schrankes platzieren oder eben auch in offene Regale. Ein Kasten für die Socken und einer für die Unterhosen verhindert allzu großes Chaos im Schrank.
Auch in Küche und Bad bringen einige kleinere Veränderungen viel für die Kinder. Im Bad lohnt sich ein kleiner Waschtisch mit einer fest stehenden Schüssel – etwa einer großen, schweren Auflaufform.
Andere findige Kreative haben eine große Plastikschüssel in einen Stuhl ohne Stuhlkissen eingepasst. In dessen Lehne kann dann gleich noch der Spiegel geklebt werden. Dazu kommen Kamm oder Bürste, Zahnpasta, Becher und Zahnbürste, evtl. ein kleiner Taschenspiegel sowie Haken für das Handtuch und einen Waschlappen.
Natürlich ist auch hier folgendes Szenario zu erwarten: Wasser überall, nur nicht mehr im Waschtisch, Kind nass und glücklich. Also wieder zum Schrank und neue Kleider aussuchen… so vergeht selbst ein langer Vormittag recht schnell!
Platz schaffen
Wer einfach keinen Platz hat, kann sich eine Kletterplattform bauen. Auch hierfür gibt es zahlreiche Anleitungen im Netz. Das Ding kann in Bad und Küche gleichermaßen eingesetzt werden und vergrößert den Radius des Kindes. Im Bad hatten wir lange Zeit einen Trittschemel, der war für uns perfekt.
Auch in der Küche ist ein Kindertisch etwas schönes. Kleine Stühlchen, ein kleiner Herd und ein paar Küchenutensilien, wie Nudelholz und Schneebesen sind wunderbare Anschaffungen, damit das Kind alles tun kann, was die Eltern auch so machen.
Solches Küchenzubehör kann auch ruhig aus der echten Mama-Küche kommen – es müssen nicht immer alles teure Holzspielsachen sein. Ein echter Topf mit Deckel, einen Kochlöffel und ein paar Bestecke plus Topflappen dazu und ein Kind verbringt glückliche Momente beim Kochen.
Etwas ganz tolles sind Schüttspiele. Dazu braucht es getrocknete Bohnen, Mais, Kichererbsen, Erbsen in großen Schüsseln, dazu einige Trichter und leere, saubere Flaschen.
Selten habe ich Kinder so konzentriert und vertieft arbeiten sehen. Ganz spielend lernen sie dabei, quasi in der Trockenübung, sich selbst etwas zu trinken einzuschenken.
Eure Verena Wagner (Babytalk-Autorin)
Beitragsfoto: UvGroup / shutterstock Pinterest: Joaquin Corbalan von G Images (über Canva)
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