Das Mutter werden geschieht nicht parallel mit der Geburt eines Babys, eher unerwartet, mitten in der Nacht.
Die Vorstellung vom Muttersein, bevor wir es tatsächlich werden, kann nicht trügerischer sein. Es ist eine Mischung aus romantischen Vorstellungen, wie in den Werbebildern oder Hochglanzmagazinen abgebildet. Die Sehnsucht nach Harmonie, Wärme und Geborgenheit eines Familiennestes, das wir selbst vielleicht nicht genießen konnten.
Es ist der Wunsch, ein Wesen an unserer Seite zu haben, das ganz zu uns gehört und einen anderen Menschen niemals bevorzugen kann. Ein Wesen, das wir bemuttern und betüdeln können, ein wenig wie damals in alten Zeiten beim Puppenspielen.
Wie überrascht sind wir dann, wenn das reale Baby nicht etwa nur isst und schläft, wie erwartet, sondern ein unermesslich großes Verlangen nach unserer vollen Aufmerksamkeit äußert.
Wir fühlen uns gefangen vom eigenen Wunschkind, das launisch und unruhig ist, immer wieder etwas von uns will und uns rund um die Uhr in Alarmbereitschaft versetzt. Es ist erschöpfend und frustrierend, doch nicht nur durch die bloße Menge an „Arbeit“. Etwas anderes macht uns fertig, was wir nicht ganz verstehen und einordnen können.
Das subtile Universum der Gefühle
Um die wahren Schwierigkeiten zu begreifen, die wir Mütter in den ersten Wochen und Monaten nach der Geburt besonders stark fühlen, müssen wir das gewohnte Universum des rationalen Denkens verlassen und akzeptieren, dass es Dinge gibt, die für das bloße Auge nicht sichtbar und für den kühlen Verstand nicht greifbar sind.
Es ist ungewohnt und manchmal beängstigend für uns Frauen, die in der männlichen Welt zu funktionieren gelernt haben, in das subtile Universum der Gefühle hinunter zu sinken, in der feuchten und dunklen Welt des Wochenbetts zu navigieren und die weibliche Energie wieder in uns aufkommen zu lassen. Es fühlt sich an, als wären wir nicht mehr wir selbst und wir fragen uns, was von unserer alten Person überhaupt noch übrig geblieben ist?
Doch die Antwort lautet – alles. Im Wochenbett sind wir unserem wahren und bisher verborgenen ICH näher als je zuvor. Wir verlassen das Leben da draußen für eine Weile und mit ihm all die Äußerlichkeiten und Fassaden, falsche Gesichter, Masken und das vorgetäuschte Ich.
Was bleibt ist die entblößte Seele mit allen ihren Fassetten, die wir bisher übersehen, vergessen oder verleugnet hatten. Es zeigen sich die dunklen Seiten in uns – unser verletztes inneres Kind und unser seelischer Schatten. Alle Erfahrungen aus unserer frühen Kindheit werden jetzt aktuell als wäre keine Zeit vergangen. Das geborene Kind belebt das Kind wieder, das wir einmal gewesen sind.
Unser inneres Kind wird wieder belebt
Die Geburtsvorbereitungskurse liefern uns viele Informationen, doch enthalten uns das Wichtigste vor. Der größte Unterschied zum Puppenspielen ist es, dass das Baby nicht bloß ein kleiner Körper ist, der versorgt werden muss.
Das Baby ist eine geballte Emotion, es ist telepathisch mit uns verbunden. Es hat die Fähigkeiten, unsere Seele zu öffnen und Seiten in uns zu offenbaren, die wir selbst nicht sehen. Unsere Seele lebt von nun an in zwei Körpern – in unserem und im Körper unseres Kindes.
Das Baby erlebt alle unsere Gefühle so, als wären es seine eigenen. Und es äußert vor allem die Gefühle, die für uns Mütter unbewusst sind. Unser Kind wird zum Sprachrohr unserer unerfüllter Wünsche, ungestillter Sehnsüchte, alter Verletzungen, nicht geweinten Tränen und dem ausgebliebenen Trost. Genau das macht das Weinen eines Babys so unerträglich.
Sich den seelischen Schmerzen stellen
Mutter zu sein bedeutet nicht nur, sich korrekt um das Baby zu kümmern, sondern sich dem seelischen Schmerzen zu stellen, den das neugeborene Kind in uns weckt.
Erst dann können wir unserem Kind die Wärme geben, die wir nicht bekommen haben. In körperlicher Nähe mit ihm verschmelzen, die wir nicht genießen konnten; durch seine Kulleraugen bis in seine Seele hineinsehen, so wie uns niemand angeschaut hat.
Sonst bleiben unsere Körper eingefroren, unsere Gefühle stumpf, der Blick abwesend und Bewegungen maschinell. Die Tagesroutine besteht nur noch aus Ablenkungen.
Wir werden nicht unbedingt dann Mütter, wenn wir das Kind geboren haben, sondern in einem Moment völliger Verzweiflung mitten in der Nacht, wenn uns die Angst und die Hilflosigkeit überkommt, wenn wir nicht weiter wissen und alle guten Tipps versagen.
Wenn wir es nicht schaffen, das Baby zu beruhigen und mit dem Baby mitweinen, wenn unsere Seele schmerzt, wenn wir uns alleine und verlassen fühlen und uns alle guten Geister zu verlassen drohen.
Wenn uns nichts anderes mehr übrig bleibt, als uns diesem weinenden Baby zu ergeben, das unsere Tränen weint, dann werden wir wahrhaftig als Mütter geboren.
Eure Inga Erchova (Babytalk-Gastautorin, Autorin beim Integral-Verlag)
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