Wann ist ein Kuss nur ein Kuss?
In den letzten Jahrzehnten ist die Verunsicherung, vor allem der Väter, immer größer geworden, wo die Grenzen beim Kuscheln mit dem Baby bzw. Kind liegen.
Aus meiner Praxis als Therapeut habe ich mehr Erfahrungen mit sexuellem Missbrauch und vielen anderen Arten von Grenzüberschreitungen gemacht, als ich es mir vorher hätte vorstellen können. Und diese geschahen (bei meinen Klienten) fast ausnahmslos in der Kindheit.
In fast allen Fällen handelt es sich hierbei um eine klare Grenzüberschreitung, so dass Eltern und Verwandte nur sehr selten ungewollt eine Grenzüberschreitung begehen. Das bedeutet, dass man als Eltern ausgiebig entspannt und unbedenklich mit seinen Kleinen Kuscheln kann! Kinder brauchen und genießen sie. Für Babys ist die körperliche Nähe für ihre Entwicklung nach neuesten Forschungen wichtiger als die Nahrungsaufnahme. Nichtsdestotrotz ist es mir wichtig, näher auf die verschiedene Arten der Grenzüberschreitung einzugehen.
Wo liegen die Grenzen zwischen Kuscheln und einer Grenzüberschreitung?
Grob kann man als Richtung die „Energie“ und /oder den Vorsatz des Erwachsenen bzw. Älteren nennen, denn nicht selten sind es ältere Brüder. Wenn man beispielsweise als Elternteil mit den Kleinen tobt und dabei unbeabsichtigt die Geschlechtsteile der Kinder berührt, ist dies für das Baby/Kind vollkommen unproblematisch.
Dabei wird eine scheinbar leichtfertige Berührung an einem aus sexueller Sicht unbedenklichen Körperteil aus dem Bedürfnis nach sexueller Befriedigung sehr wahrscheinlich als grenzüberschreitend empfunden.
So kann das Hoppe Hoppe Reiter spielen ein Spaß für beide Beteiligten sein, was es meistens auch ist, und es kann als vermeintlich unverfängliches Spiel, missbraucht werden. Wenn ihr verunsichert seid, achtet auf die Blicke und Laute, welches eurer Kind dabei von sich gibt.
Nicht selten werden sogar sexuelle Phantasien Älterer von Kindern als verunsichernd und auf Dauer traumatisch empfunden auch ganz ohne körperliche Übergriffe.
Und was an einem Tag ok ist, kann schon an einem anderen Tag nicht mehr ok sein.
Das bedeutet, dass es als Erwachsener wichtig ist, achtsam für solche Änderungen beim Kuscheln und Toben zu bleiben. Beim Toben ist es dazu hilfreich ein Gespür zu entwickeln kurz vorher aufzuhören, bevor es dem Kind zu viel wird. Doch spätestens wenn es STOP sagt, sollte man aufhören. Dadurch wird gleichzeitig das Vertrauen zwischen Kind und Elternteil sowie ihr Selbstwertgefühl gestärkt.
Gilt der Kuss auf den Mund noch als Kuscheln?
Ein Kuss auf den Mund kann genauso gut ok, wie grenzüberschreitend sein. Auch hier liegt es an der „Motivation“ des Erwachsenen, der Dauer UND zudem an dem Einverständnis des Kindes. Wiederum nicht selten sind Kinder nicht in der Lage ihr Unbehagen zu äußern, da sie mit der Verarbeitung dessen, was gerade mit ihnen passiert überfordert sind. Und da es meistens Vertraute Personen sind, meinen sie, dass es wohl ok sein muss, auch wenn es sich für sie nicht so anfühlt. Mit der Zeit, wächst dieses Unbehagen immer mehr und der Gedanke, dass es nicht ok ist, wird immer stärker.
Babys fällt es dagegen häufig noch leichter ihr Unbehagen zu äußern. Ihr Einverständnis können sie dagegen nicht geben.
Verständnis für Scham
Das empfinden von Scham gehört zumindest in unserer Gesellschaft zum Erwachsen werden dazu. Es hat etwas mit der Veränderung des Verständnisses von sich selbst und seinen Grenzen zu tun.
Mögliche Folgen einer bzw. regelmäßiger Grenzüberschreitungen
Das Trauma einer Grenzüberschreitung wächst mit dem Vertrauensverhältnis zu der Person, das heißt, je näher die Person zu dem Kind steht und der Häufigkeit. Was nicht heißt, das einzelne Grenzüberschreitungen für das Kind ok sein könnten! Schon nach einem Missbrauch ist das Vertrauen zu der Person und sich selbst gestört. Da Missbrauchsopfer sich vor allem als Kinder für die „Tat“ verantwortlich fühlen. Das kann zu folgenden Überzeugungen führen wie:
Ich bin
- nicht ok, da ich es nicht mag.
- nicht liebenswert, da mir so etwas angetan wurde.
- muss etwas falsch gemacht haben, sonst hätte man mir so etwas nicht angetan.
- muss schuldig sein und dies ist wohl meine Strafe.
Kinder verlieren das Vertrauen zu sich und in ihre Familie/Umwelt.
Ein dauerndes schlecht reden und kleinmachen eines Kindes stellt ebenso einen Missbrauch (psychischer Missbrauch) da, wie ein körperlicher Missbrauch. Unser „Gehirn“ unterscheidet nicht zwischen Vorstellung und Realität und bei verbalem Missbrauch laufen nicht selten „Filme“ im Kopf des Kindes bzw. Betroffenen ab.
Menschen die Missbrauchserfahrungen gemacht haben, tragen häufig ein Leben lang ein Misstrauen anderen Menschen gegenüber mit sich und es ist sehr wichtig für sie, dass sie von ihrem Partner und anderen ihr nahestehenden Menschen Verständnis dafür erhalten.
Berührungen des Babys bzw. Kindes
Vor allem im ersten Lebensjahr kann der neue Erdenmensch Dinge besser über den Mund als mit den Händen wahrnehmen, was zu „verfänglichen“ Situationen insbesondere zwischen Papa und Baby führen kann. Nicht zuletzt beim Kuscheln und in der Badewanne.
Dabei ist es am besten ganz ruhig und so entspannt wie möglich zu bleiben und sich bewusst zu machen, dass es reine unschuldige Neugierde ist, die Welt zu erkunden und absolut nichts mit SEX zu tun hat! Die dabei möglicherweise auftretende körperliche Reaktion ist völlig normal.
So entspannter wir bleiben, umso unverfänglicher und schneller wird das Baby diese Situation erleben und seine Aufmerksamkeit anderen spannenden Dingen widmen.
Fazit zum Kuscheln mit Babys/Kindern
Schaut nicht weg, doch macht Euch auch nicht unnötig viele Gedanken.
Weniger ist mehr, manchmal sind Kinder langsamer im Ausdruck von etwas was ihnen unangenehm ist oder wissen nicht, was sie von einer neuen Erfahrung oder Gefühlen halten sollen, so dass es hilfreich sein kann, aufzuhören, wenn es am Schönsten ist. Zum Beispiel ist es für das Kind angenehmer, wenn wir mit dem Kitzeln aufhören, bevor es selber stopp sagt. Und wenn es Stopp sagt, unbedingt innehalten, nachfragen und dann aufhören.
Wichtig ist als Erwachsener wachsam zu sein
doch auch keinen leichtfertigen General-Verdacht gegenüber Partnern, Großeltern, sowie Onkeln und Tanten zu äußern.
Kinder wollen keinen Sex mit anderen! Was nicht heißt, dass sie schon früh gefallen daran finden können an ihren Geschlechtsteilen rumzuspielen. Und dies sollte man ihnen auch nicht nehmen oder kritisieren. Es ist ein Weg sich und seinen eigenen Körper kennen- und anzunehmen lernen.
Euer Deva (Trauma- und Familientherapeut)
Beitragsfoto: Creativa Images / shutterstock Pinterest: natalie_board von G Images Pro & Creatas von Photo Images (über Canva)
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